Lasst uns also gemeinsam erkunden, warum es so wichtig ist, offen über sexuelle Bedürfnisse in der Partnerschaft zu sprechen, welche Hindernisse uns möglicherweise daran hindern, und vor allem, wie wir diese Hindernisse überwinden können, um eine offene und vertrauensvolle Kommunikation aufzubauen.
Egal, ob du gerade erst eine Beziehung eingehst oder bereits seit Jahren mit deinem*r Partner*in zusammen bist, die Fähigkeit, über sexuelle Bedürfnisse in einer Beziehung zu sprechen, kann das Fundament für eine tiefere Verbindung und ein langes erfüllteres Sexualleben legen. Auch unabhängig von einer Beziehung sollten wir immer unsere Bedürfnisse mitteilen, um unschöne Überraschungen und Missverständnisse direkt zu vermeiden.
Auswirkungen von unterdrückten sexuellen Bedürfnissen auf die Beziehung
Warum dieses Thema so relevant ist? Ganz einfach, weil die meisten Menschen im Normalfall gerne Sex haben, ob innerhalb oder außerhalb einer Beziehung. Weil es einfach ein menschliches Bedürfnis ist, was wenn es nicht befriedigt wird sich seinen ganz eigenen Weg sucht und der muss nicht jedem gefallen.
Versteh mich bitte nicht falsch, es gibt immer wieder Phasen, in denen wir mal keine Lust haben, oder das Thema in den Hintergrund rutscht, weil gerade andere Sachen wichtiger sind. Es gibt auch viele gute Gründe, eine Weile keine Sexualität zu leben, aber sie dauerhaft zu ignorieren kann problematisch werden. Ich verstehe uns auch nicht als triebgesteuerte Wesen, die keine Kontrolle über sich haben, aber sexuelle Energien und sexuelles Verlangen gehören zu unserem Leben wie die Luft zum atmen dazu. Wie wir sie erleben und ausleben ist natürlich super individuell.
Unsere Prägungen und traumatische Erlebnisse (oft ganz unbewusst), haben den größten Einfluss auf unser Sexualverhalten und können dafür sorgen, dass Intimität als unangenehm, falsch oder schmerzhaft empfunden wird. Für viele ist die Vermeidung oder „das so tun als ob“, eine mögliche Lösung, macht aber auf Dauer nicht glücklich und im schlimmsten Fall sogar krank.
Weitere Auswirkungen können sein:
Emotionale Distanz:
- Sex ist oft ein wichtiger Bestandteil der Intimität in einer Beziehung. Wenn Paare keinen Sex haben, kann dies zu einer emotionalen Distanz führen, da die körperliche Nähe und der Ausdruck von Zuneigung fehlen.
Erhöhte Spannungen und Konflikte:
- Ohne sexuellen Kontakt können sich Spannungen und Frustrationen aufbauen, die zu vermehrten Konflikten und Auseinandersetzungen führen können. Sex kann oft als Ventil für Stress und Spannungen dienen.
Vermindertes Selbstwertgefühl:
- Ein Mangel an sexuellem Kontakt kann das Selbstwertgefühl beeinträchtigen, da einer oder beide Partner sich unerwünscht oder weniger attraktiv fühlen könnten.
Geringere Bindung und Verbundenheit:
- Sex setzt Hormone wie Oxytocin frei, die die Bindung und das Gefühl der Verbundenheit stärken. Ohne diese hormonellen Effekte kann die emotionale Verbindung zwischen Partnern schwächer werden.
Gefahr von Untreue:
- Wenn sexuelle Bedürfnisse in der Beziehung unerfüllt bleiben, steigt das Risiko, dass einer oder beide Partner außerhalb der Beziehung nach sexueller Erfüllung suchen. Dies kann das Vertrauen und die Stabilität der Beziehung gefährden.
Depressionen, psychosomatische Symptome und auch körperliche Beschwerden können auftreten, wenn keine gesunde Sexualität gelebt wird.
Hindernisse für die Kommunikation über sexuelle Bedürfnisse in einer Beziehung
Also im besten Fall haben sich zwei Menschen lieb, machen alles, wozu auch immer sie Lust haben und teilen sich ganz offen und ehrlich mit, was sie sich voneinander wünschen. Aber über die rede ich hier ja nicht. Ich meine hier die, die sich eben nicht trauen und sich nicht öffnen und das hat Gründe.
Gesellschaftliche Tabus und Schamgefühle im Zusammenhang mit Sexualität
Diese Hürden liegen eher im Außen und sind sicher auch kulturell noch unterschiedlich zu betrachten. Wir Deutschen leben nach meiner Wahrnehmung in einem sehr freizügigen Land, dürfen über alles offen reden und uns auch sehr freizügig zeigen. Dennoch erlebe ich eine große Sprachlosigkeit bei den Paaren, wenn es darum geht eigene sexuelle Bedürfnisse in einer Beziehung zu thematisieren.
In Deutschland bin ich über 20 Jahre jeden Freitag in die Sauna gegangen, habe mich nackt dort absolut sicher und wohl gefühlt. Seit einigen Jahren lebe ich auf Mallorca, wo es zum einen kaum Saunen gibt und die meisten nicht textilfrei sind. Die Frauen im Schwimmbad tragen sogar noch unter der Dusche Badeanzug und zeigen sich kaum nackt. Natürlich weiß ich nicht, wie sie ihre sexuellen Bedürfnisse kommunizieren, aber ich habe vielleicht eine kleine Ahnung.
In meiner ersten Ehe war ich mit einem Algerier verheiratet, wo die kulturellen Unterschiedlichkeiten doch nach und nach deutlich spürbar wurden und es keine wirklichen Worte für die eigenen sexuellen Bedürfnisse gab. Hier waren Tabus und Scham deutlich spürbar.
Inzwischen leben wir ja multikulti miteinander und obwohl Deutschland so ein freies Land ist, gibt es noch gesellschaftliche Prägungen, die die Kommunikation schwer machen. Wie das auf andere Kulturen wirkt und welche Auswirkungen das haben kann, ist sicher noch mal ein ganz eigenes Thema.
Kommunikationsblockaden und Ängste in der Partnerschaft
Hier geht es um die intrinsischen Blockaden, also die aus uns selbst heraus entstehen. Das können u.a. folgende sein:
Negative Selbstwahrnehmung und geringes Selbstwertgefühl:
- Ein schlechtes Körperbild oder geringes Selbstwertgefühl kann dazu führen, dass eine Person sich unwohl oder unsicher fühlt, wenn es um sexuelle Intimität geht. Diese negativen Gefühle können das Selbstvertrauen untergraben und dazu führen, dass jemand sich emotional und physisch zurückzieht.
Vergangene traumatische Erfahrungen:
- Erlebnisse wie sexueller Missbrauch, Belästigung oder andere Formen von Traumata können tiefe psychologische Narben hinterlassen. Diese traumatischen Erfahrungen können Ängste und Abneigungen gegenüber sexueller Intimität hervorrufen und es schwierig machen, sich in einer sexuellen Beziehung sicher und entspannt zu fühlen.
Kulturelle oder religiöse Überzeugungen:
- Strenge kulturelle oder religiöse Erziehung kann dazu führen, dass Menschen Sex als etwas Negatives oder Schmutziges betrachten. Solche Überzeugungen können tief verwurzelte Schuld- oder Schamgefühle hervorrufen, die es schwer machen, sexuelle Wünsche und Bedürfnisse frei auszudrücken oder zu genießen. (egal wo und wie wir leben, wir nehmen unsere Überzeugungen immer mit)
Diese intrinsischen Blockaden sind oft tief in der Psyche verankert und erfordern Geduld und Mitgefühl, um sie zu überwinden.
Tipps für eine offene Kommunikation über sexuelle Bedürfnisse
Jetzt habe ich einiges dazu gesagt, warum es schwierig ist und vielleicht kannst du dich in dem ein oder anderen wieder finden. Aber ich habe am Anfang auch versprochen, dass ich ganz alltagspraktische Tipps mitgeben will, die jede Kommunikation sofort verbessern. So, let’s go 🙂
A. Selbstreflexion und Selbstakzeptanz
Erst mal ist es super wichtig, dass ich total offen und ehrlich zu mir selbst bin. Was sind meine Wünsche an Sexualität? Was möchte ich super gerne erleben und ausprobieren? Wo sind meine Grenzen, meine absoluten No Go’s? Was macht mich so richtig an, was turnt mich ab? Was ist meine tiefste Sehnsucht? Hierbei ist es wirklich wichtig ehrlich zu mir zu sein.
Akzeptanz der eigenen Sexualität ohne Scham oder Schuldgefühle
Egal was auch immer meine Wünsche, meine Phantasien und meine Wünsche sind, es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste. (ich beziehe mich hier immer auf eine einvernehmliche Sexualität unter erwachsenen Menschen Alle anderen Bedürfnisse gehören in die Hände von erfahrenen Therapeuten) Erstmal darf alles sein, was nicht bedeutet, dass auch alles davon ausgelebt werden muss.
Es ist auch völlig ok kleine Phantasien für mich zu behalten. Wichtig ist, zu mir zu stehen und zu dem, was ich mir aufrichtig wünsche. Und falls jemand unsicher ist, ob es sich um „normale gesunde Phantasien“ handelt, dann lass und drüber reden und das klären.
Ebenso ist es wirklich wichtig an dieser Stelle zu sagen, wenn es Schuld und Scham zum Thema Sexualität gibt, dann hat es Gründe und die müssen nicht so bleiben, sondern können verändert werden. Glaube mir, in den meisten Fällen ist es möglich, eine lustvolle erfüllte Sexualität zu kreieren.
B. Aufbau von Vertrauen und Sicherheit
Dazu ist es wichtig ein sicheres und unterstützendes Umfeld zu schaffen, was offene Gespräche möglich macht. Also nicht zwischen Tür und Angel, nicht im Stress, nicht im Streit, nicht vor anderen Leuten, nicht wenn die Kinder umher wuseln und auch nicht, wenn sich einer völlig unwohl fühlt.
Die Atmosphäre sollte einladend, wohlwollend, gemütlich und offen sein, im Außen wie im Innen. Es geht darum, auch den richtigen Raum dafür in sich selbst zu kreieren, der getragen ist von Wohlwollen und Liebe. Für sich und für alle anderen.
Betonung von Vertrauen und Sicherheit
Das sind zwei absolute Game Changer für alles innerhalb einer Beziehung. Das Fundament einer jeden Beziehung besteht für die meisten Menschen aus Vertrauen und Sicherheit. Das tiefe Vertrauen, dass der andere es gut mit einem meint. Aber auch das tiefe Bewusstsein, dass wir es gut mit uns selbst meinen.
Hier liegen die meisten Irritationen vor, da viele Menschen sich selbst und auch anderen einfach nicht vertrauen können. Nicht weil sie es nicht wollen, sondern weil sie es entweder nicht gelernt, oder aufgrund von schmerzhaften Erfahrungen verlernt haben.
Doch auch das muss nicht so bleiben und kann wieder erlangt werden. Zu sich selbst und auch zu anderen. Dann wird fast alles andere von alleine wieder möglich.
C. Klare und respektvolle Kommunikation
Jetzt endlich geht es darum über sexuelle Bedürfnisse in einer Beziehung zu sprechen. Hast du bestimmst schon drauf gewartet, oder?
Dabei ist es unbedingt wichtig in ICH BOTSCHAFTEN zu kommunizieren. Wobei ich diese Herangehensweise grundsätzlich für die Kommunikation zwischen Menschen empfehle. Du sprichst immer von deiner Wahrnehmung, deinen Gefühlen, deinen Gedanken, deinen Empfindungen.
z.B. kannst du sagen: ich fühle gerade Traurigkeit in mir… ich fühle mich gerade nicht verstanden…in meiner Welt habe ich das so erlebt… Rede einfach immer aus deiner Perspektive heraus. Dein Gegenüber hat eine andere Perspektive und einen anderen Filter.
Stell dir z.B. vor, vor euch steht ein Glas mit Wasser, was bis zur Hälfte gefüllt ist. Für einen ist das Glas halb leer, für den/die andere das Glas halb voll. Der Klassiker übrigens 😉 Beide haben Recht und darum geht es. Erkenne immer an, dass du nur aus deiner Welt heraus kommunizierst und die ist für niemanden anderen erkennbar und nicht wahrer.
Je klarer du dich mitteilst und durch Nachfragen überprüfst, ob du richtig verstanden wirst, um so weniger Missverständnisse gibt es.
Vermeidung von Vorwürfen und Schuldzuweisungen
Das ist die Ergänzung zu den Ich-Botschaften. Es macht einen totalen Unterschied ob du z.B. sagst: „weil du immer so viel arbeitest haben wir keinen Sex mehr“…oder: ich fühle mich oft alleine und bin traurig darüber, dass wir gefühlt keinen Sex mehr haben.“
Bei der ersten Äußerung wird sich dein Gegenüber sofort angegriffen fühlen, versuchen sich zu verteidigen oder es umdrehen und dir die Schuld zuweisen. Klare Streitvorlage.
Bei der zweiten Form, gibt es Spielraum, da ist Platz für Mitgefühl und Bedauern. Daraus kann ein wohltuendes Gespräch mit Lösungsmöglichkeiten entstehen. Spürst du den Unterschied?
Es ist immer wichtig bei dir zu bleiben und vor allem nie den Respekt zu verlieren, auch wenn du gerade mit einer Situation nicht happy bist.
D. Offenheit für die Bedürfnisse des Partners
Um vertrauensvoll und offen über sexuelle Bedürfnisse in einer Beziehung sprechen zu können, sind zwei Sachen von elementarer Bedeutung:
- Aktives Zuhören und Verständnis für die Bedürfnisse des Partners
- Bereitschaft zur Kompromissfindung und gemeinsamen Lösungsfindung
Aktiv zuhören meint wirklich offen zu sein, neugierig zu sein, zu hinterfragen und jemanden reden zu lassen. Raum für das Gespräch zu haben und nicht mit dem Handy in der Hand, zwischen Tür und Angel oder im Kopf schon mit der Einkaufsliste für morgen beschäftigt zu sein. 😉
Viele Menschen hören zwar zu, aber sind oft noch mit sich selbst so busy, dass sie das meiste gar nicht mitbekommen, was ihr Gegenüber wirklich sagt.
Empathie, also Verständnis füreinander zu haben, ist ebenso existenziell wichtig wie atmen. Haben viele Menschen auch nicht gut gelernt. Nicht schlimm, kann nachgeholt werden. Nur schlimm, wenn es so bleibt. Gilt auch für „nicht darüber reden können“!
Und zu guter letzt braucht es natürlich immer die Bereitschaft Kompromisse eingehen und Lösungen finden zu wollen. Dabei ist es wichtig, dass es keine faulen Kompromisse sind, denn die führen auf Dauer nicht zum Ziel. Bleibt dran, seid hartnäckig bei der Suche und seid vor allem ehrlich.
Sich für jemanden zu verbiegen und schön Wetter zu machen, damit Ruhe ist, rächt sich irgendwann ganz böse. Wenn du z.B. etwas im Bett nicht magst, dann mach es nicht.
Aber frag dich warum du es nicht magst, was vielleicht dahinter stecken könnte und ob es nicht veränderbar ist. Oft sind es alte und übernommene Glaubenssätze, die mit uns gar nichts wirklich zu tun haben.
Ich mag dir hier ein Beispiel aus der Praxis mitgeben:
Karin mochte keinen Oralverkehr, weder bei sich noch bei ihrem Partner. Uwe vermisste es sehr und sprach es immer wieder an, was jedoch dazu führte, dass Karin immer weniger Freude am Sex hatte und sich unter Druck gesetzt fühlte. Nach genauem Nachfragen kam heraus, dass ihre Mutter schon bei der Aufklärung gesagt hat, es sei ungesund und die Bakterien würden Darmkrankheiten produzieren. Karin hat ihr geglaubt, es einfach als gegeben übernommen.
Ich konnte sie mit ein paar wissenschaftlichen Artikeln davon überzeugen, dass es einfach nicht stimmt und sie diesen Glaubenssatz verändern darf. Hat sie gemacht und was dann passierte, überlasse ich jetzt deiner Phantasie.
Es war so wichtig, dass die beiden darüber geredet haben und offen für Kompromisse und Lösungen sind, denn wenn das gemeinsame Glück nicht an erster Stelle steht, dann nützt alles nichts.
Professionelle Unterstützung und Ressourcen
Ich kann es gar nicht oft genug betonen, wenn es in einer Beziehung nicht richtig klappt, dann hat es Gründe und die können oft alleine nicht einfach so behoben werden, weil die meisten nicht wissen, was es dazu braucht. Ist ja auch gar nicht schlimm. Wenn mein Auto kaputt ist, wüsste ich auch nicht was zu tun ist. Wenn ich Zahnschmerzen habe, hilft mir abwarten und Tee trinken vermutlich auf Dauer auch nicht weiter.
Was ich damit sagen will, wenn es dir/euch noch nicht gelingt über eure sexuellen Bedürfnisse in Beziehungen (oder überhaupt) offen und vertrauensvoll zu reden, dann gibt es Ursachen dafür. Diese können wir gemeinsam (oder mit einem anderen Profi) erkennen und verändern. Ich bin quasi die Autowerkstatt oder die Zahnärztin und ich kann nur jedem raten, einen Termin bei mir zu machen.
Viele Beziehungen könnten soviel besser sein, die Sexualität soviel erfüllter, lebendiger, leidenschaftlicher und die Menschen einfach glücklicher.
Jede*r bringt schon so viel mit in eine Beziehung, manchmal sind es nur kleine Stellschrauben, an denen wir drehen dürfen und vieles können wir neu erlernen. Es lohnt sich immer.
Fazit
Offen über sexuelle Bedürfnisse in einer Beziehung zu kommunizieren, ist entscheidend für eine tiefe emotionale und physische Verbundenheit zwischen Partnern.
Obwohl gesellschaftliche Tabus, persönliche Unsicherheiten und vergangene traumatische Erfahrungen diese Kommunikation erschweren können, gibt es wirksame Strategien, um diese Hindernisse zu überwinden.
Durch Selbstreflexion, den Aufbau eines vertrauensvollen und sicheren Umfelds, klare und respektvolle Kommunikation sowie die Bereitschaft, die Bedürfnisse des Partners zu verstehen, können Paare ihre Intimität stärken und ein erfüllteres Sexualleben genießen.
Regelmäßige Kommunikationsübungen und der Einsatz professioneller Unterstützung können zusätzliche Hilfen bieten, um eine offene und ehrliche Gesprächskultur zu entwickeln.